Diese tiefe Wahrheit wird u. a. im Zen-Buddhismus gelehrt. Was bedeutet das nun konkret?
Ich bin nicht meine Gefühle.
Vielleicht erläutert das am besten ein Beispiel:
Morgens klingelt der Wecker und du bist noch ganz verschlafen als du aufstehst. Du trödelst im Bad und in der Küche herum. Dann fällt dir ein, dass du den einen wichtigen Bericht immer noch nicht fertig geschrieben hast. Deine Laune sinkt. Du suchst deine Sachen zusammen und gehst aus der Tür.
Während du im Auto sitzt, schießen dir tausend Gedanken durch den Kopf. Der Stresspegel steigt. Du machst dir innerlich Vorwürfe, dass du den Bericht aufgeschoben hast und ärgerst dich gleichzeitig über den Autofahrer der vor dir dahinschleicht.
Endlich im Büro angekommen, will schon wieder der erste was von dir. Du schüttest dir den Kaffee fast über die Unterlagen und das Telefon läutet bereits penetrant.
Du hast jetzt schon die Nase voll vom Tag und merkst wie der Ärgerpegel steigt und steigt.
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Gedanken wirken auf unseren Körper
Auch wenn dieses Beispiel überzeichnet dargestellt ist, kennst du möglicherweise ähnliche Situationen. Und wenn du ein wenig in Gedanken mitgegangen bist, dann hast du vielleicht als Trittbrettfahrer:in einen Anflug von diesem Ärger gespürt, der sich hier aufgebaut hat.
Die Auswirkungen auf den Körper sind enorm. Der Puls und der Herzschlag werden erhöht. Die gesamte Muskelanspannung verstärkt sich. Die Magensäure schaltet hoch und einiges mehr. Wie gehst du mit solchen Situationen um? Wie schaffst du es wieder runterzukommen?
Wie ein Satz dir helfen kann
Eine Möglichkeit hat mit dem o. g. Satz zu tun. Ich wiederhol ihn einfach nochmal:
Ich bin nicht meine Gefühle.
In der Psycho-Analyse wird im Menschen zwischen verschiedenen Ich-Zuständen unterschieden. Wir haben z.B. einen Ich-Zustand der uns mit negativen Gedanken und Gefühlen überflutet. Die ganzen Stimmen die du so im Kopf hast und die dich schelten, antreiben, Vorwürfe machen usw. Doch das SIND wir nicht. Wir sind weder unsere Gefühle, noch unsere Gedanken.
Wir erschaffen sie und nicht sie erschaffen uns. Diese einfache Wahrheit wird oft übersehen. Alles was wir denken und fühlen, können wir beeinflussen, denn WIR sind es, die denken und fühlen. Es gibt niemanden da draußen, der uns sagen kann: Fühl dich jetzt so und so.
Es ist einzig und allein jedes mal unsere Interpretation von erlebten Situationen, die die Gedanken und Gefühle erschafft. Dies alles läuft natürlich oft in Sekundenbruchteilen ab. Manchmal merkt man es erst, wenn man schon mitten drin steckt.
Du weißt jedoch genauso wie ich, das die meisten negativen Empfindungen uns empfindlich in unseren Handlungsmöglichkeiten einschränken. Souveränes zu handeln ist im Ärger oder Stress fast nicht möglich. Damit verliert sich auch der Überblick über komplexe Zusammenhänge.
Der Trick mit der Uhr
Was du nun konkret tun kannst, um dich wieder zur Ruhe zu bringen, ist einen kleinen Trick anzuwenden. Den Trick mit der Uhr.
Denn, wenn du deinem kritisierenden Ich-Zustand im Inneren die Oberhand überlässt, bist du nicht mehr im Hier und Jetzt. Du verlässt dich quasi selbst. Lass uns das obige Beispiel aufgreifen:
…. merkst wie der Ärgerpegel steigt und steigt. Als du dies wahrnimmst, schaust du bewusst auf die Uhr und sagst (oder denkst):
Ich ärgere mich gerade sehr und es ist jetzt 9 Uhr 42.
Hast du mitgemacht? Wenn ja, dann hast du möglicherweise eine Veränderung in den Gedanken und Empfindungen gemerkt. Als nächsten Gedanken:
…. es ist jetzt 9 Uhr 42. Ich ärgere mich jetzt noch bis 9 Uhr 50 und dann hör ich damit auf.
Macht das für dich Sinn? Musstest du vielleicht ein ganz klein wenig schmunzeln?
Sich bewusst für eine negative Empfindung zu entscheiden, ist etwas, was so gut wie niemand freiwillig machen würde. Genau das ist das Entscheidende dabei. Du wählst deine Empfindung bewusst und genau dadurch hast du wieder alles besser im Griff.
Selbstverständlich kannst du dich jetzt auch für Gelassenheit, für Ruhe, für Souveränität entscheiden. Die Situation an sich, ist immer noch die Gleiche. Doch du hast jetzt den Stand- und Sichtpunkt geändert und deine Wahrnehmung ermöglicht dir eine neue, bewusste und damit kraftvolle Bewertung.
Mach einen Termin mit dir selbst
Wenn die Situation von dir eine weitere interne Bearbeitung erfordert, d. h. du bist mit etwas konfrontiert, was du konkret durchdenken möchtest, dann kannst du auch dazu die Uhrzeit nutzen.
In unserem Beispiel geht es vielleicht um eine sich wiederholende Situation, dass unangenehm empfundene Aufgaben häufig geschoben werden. Es belastet dich immer wieder und du möchtest der Sache auf den Grund gehen. Dann könntest du mit dir selbst einen Deal machen, in dem du konkret überlegst, wann du dir für dieses Thema Zeit nehmen möchtest. Dazu nutzt du einfach die Uhrzeit. Um den Satz von oben fortzusetzen:
… und dann hör ich damit auf. Heute abend um 20 Uhr werde ich mich mit dem Thema “was kann ich tun, um mir unangenehme Aufgaben früher zu erledigen” beschäftigen.
An diesen Termin solltest du dich halten. Sonst wird es dich wie einen Bumerang immer wieder und wieder einholen.
Bei dieser Technik gilt natürlich auch “Übung macht den Meister”. Die Uhrzeit ist letztlich nur eine Krücke zum schnelleren bewussten Wahrnehmen.
Probiere es doch einfach mal für eine Woche aus. Du wirst vielleicht feststellen, dass du immer mehr ein Gefühl von Souveränität in deinem Leben, Umfeld und Handeln bekommst.
Wenn du nur eine Situation dadurch verändern kannst, ist es eine positive Situation mehr.
Ich bin zwar nicht meine Gefühle, aber es gibt eine Wechselwirkung. Wenn ich mich besser fühle, dann stört mich das Negative nicht so sehr.
Ich versuche es mit bewußter Verdrängung. In dem Augenblick, in dem ich merke, dass der Ärgerpegel, der Blutdruck etc. steigt, dann atme ich kurz durch … und denke an etwas, auf das ich mich freue. An etwas ganz anderes. Beispielsweise an den Grillabend am nächsten Wochende. Was ich noch leckeres einkaufen darf, was ich am besten für einen Wein dazu trinke, dass Freunde kommen. Meistens funktionierts.
Am Abend kommen die Gedanken an das, was mich geärgert hat, zurück. Dann verarbeite ich es, jedoch ruhiger und objektiver. Und oft mit einem Moderator – meiner Frau (danke!). Ist fast schon wie mit der Uhr…
Scheint ja schon automatisiert zu sein! Wunderbar. Besser geht’s nicht. Ich würd vielleicht noch in Gedanken das Wort “Verdrängung” durch “Verschieben” ersetzen.
Danke für den schönen Kommentar.
Alexandra
Gern geschehen :-)
Mit deinem Beispiel triffst du gerade den Nagel auf den Kopf. Dachte schon du schreibst über mich.
oh, das kann nur eine zufällige Übereinstimmung sein :)