Denkst du, Menschen kommen auf die Welt und haben von Anbeginn eine innere Stimme, die sie regelmäßig runtermacht und kritisiert was das Zeug hält? Gewiss nicht, oder?
Alle Denkmuster die wir an uns erleben, sind Reaktionen auf unsere Umwelt. Sie entwickeln sich in einer Zeit, in der unsere Welt aus nicht viel mehr als unserer Familie besteht. Oftmals nehmen wir diese automatischen Reaktionen im Erwachsenenleben gar nicht mehr bewusst wahr, sie scheinen zu uns zu gehören wie unsere Haut.
Doch das, was wir über uns denken, beeinflusst wie wir uns fühlen, wie wir in der Welt agieren, was wir von uns halten.
Daher lass uns heute mal einen besonderen Blick auf den inneren Kritiker lenken, den wohl jeder Mensch schon mal in Aktion erlebt hat.
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Was geht da ab?
Es ist interessant, was da in uns vorgeht. Nehmen wir an, wir halten eine Präsentation und verhaspeln uns mitten drin. Jemand der innerlich sehr entspannt ist, wird ganz anders mit sich umgehen in so einer Situation, als jemand der sehr angespannt ist.
Die Gedanken werden unterschiedlich sein und die daraus resultierenden Gefühle ebenfalls. Mit sich selbst ins Gericht zu gehen, macht weder froh, noch tut es gut. Zumindest nicht, wenn es auf eine herabwürdigende und verletzende Art ist, wie es leider oft in unserem Kopf passiert.
Doch nochmal die Frage: Kommt ein Kind schon so ausgestattet auf die Welt? Nein, all das entsteht erst. Das kann dir als Gedanke vielleicht schon mal weiterhelfen, wenn du auch zu denjenigen gehörst, die von einem massiven inneren Kritiker geplagt sind.
Oder vielleicht anders ausgedrückt, die einen massiven inneren Kritikreflex haben, wenn es um sie selbst geht.
Wenn diese negativen und kritisierenden Gedanken erst im Leben entwickelt wurden und eine Reaktion auf das waren, was du gesehen und erlebt hast, dann lautet die gute Nachricht, dass du auch daran arbeiten kannst, das zu ändern.
Die Schallplatte die sich immer wieder abspult
Wer als Kind oft Kritik von den Eltern erfahren hat, wer als Kind oft Kritik in der Schule erfahren hat, wer als Kind oft gehänselt wurde von anderen, hat diese Stimmen abgespeichert.
Das ist ein Tonband, das in einer Schublade liegt. Ergibt sich nun eine Situation im außen, in der wir Gefahr laufen, dass wieder nicht alles klappt und wir etwas nicht hinkriegen, dann wird das Tonband wieder eingelegt und abgespult. Nur, dass es jetzt nicht mehr die Stimmen von außen sind die wir hören, sondern wir hören das in unserem Inneren als unsere Stimme.
Wir haben einen Teil in uns, der diese Aufgabe übernommen hat. Das kann sehr schmerzlich sein, wenn wir so harsch mit uns selbst umgehen. In höchstem Maße frustrierend und mutlos machend.
Wer hört schon gern, was sie/er für ein Trottel ist, zu blöd für alles, nichts hinkriegt usw. Jeder hat da wohl so seine eigenen Highlights.
Doch nochmal: Du bist mit dieser Stimme nicht auf die Welt gekommen und du musst in keinster Weise alles für bare Münze nehmen, was du dir da selbst sagst.
Wie kann ich diese innere Kritik ändern?
Sich allerdings nur damit zu beschäftigen, wie man mit sich umgeht und wie man es in Zukunft anders machen sollte, sind zwar hehre Ansätze, doch meiner Erfahrung nach funktioniert es sehr selten, sich vorzunehmen, in Zukunft netter mit sich selbst zu sprechen.
Für mich liegt die Lösung einen Stock tiefer.
Mit einem Stock tiefer meine ich, hinter die Kritik zuschauen. Denn wir Menschen machen Nichts umsonst.
Alles was wir tun oder lassen, kommt aus einem Bedürfnis heraus. Ob uns das Bedürfnis bewusst ist, ist die zweite Frage und die dritte ist, ob uns das Bedürfnis überhaupt gefällt.
Doch eins nach dem anderen. Wenn wir von meiner These ausgehen, dass dich dein innerer Kritiker oder dieser Kritikreflex schützen möchte, sollten wir uns über die zugrunde liegenden Bedürfnisse klar werden.
Ein automatischer Schalldämpfer für den inneren Kritiker
In jedem Semester bin ich an der Uni in Nürnberg und gebe als Gastdozentin ein Rhetorik-Seminar. Die Studierenden lernen an diesem Tag wie sie eine Rede aufbauen und halten können. Doch neben all diesen eher technischen Aspekten, gibt es da noch die Redeangst.
Nervosität ohne Ende, die einem den Spaß völlig verderben kann. Damit verbunden ist oft die Angst vor ausgelacht werden, für nicht voll genommen werden, sich zu blamieren, einen Blackout zu haben. Such dir was aus, die Liste ist lang.
Wenn die Studierenden dann den Tag mit mir gearbeitet haben und wir wieder einen Check-in mit dem Gefühl machen, dann hat sich das in den meisten Fällen total verschoben. Es ist nicht mehr so beängstigend, es wurde erlebt, dass es gelingen kann, das Gefühl hat sich durch das stete Üben in eine viel ruhigere Richtung verschoben.
Und die innere Kritik? Ist automatisch weniger geworden. Wie gedämpft. Wie kann das sein?
Was dein innerer Kritiker erreichen will
Jetzt kommt unser heutiger Kern-Satz ins Spiel:
Dein innerer Kritiker will dich schützen
Die mehrfachen Übungen, die meine Student:innen durchlaufen, haben dazu geführt, dass ein Gefühl der Sicherheit entstanden ist.
In einem sehr viel größeren Maße als das vorher war. Sobald im Inneren Halt gefunden wird, brauche ich nicht mehr so geschützt werden. Daher nimmt die innere Kritik ab.
Wir haben alle das Bedürfnis OK zu sein. Auf dieser tieferen Ebene sind wir uns alle gleich. Wir möchten uns angenommen fühlen und sicher sein.
Was du machen kannst, wenn deine innere Kritikmaschine loslegt, ist dir bewusst zu werden, was dem zugrunde liegt:
- Du hast den Wunsch OK zu sein.
- Du möchtest dich sicher fühlen.
- Du möchtest in Ordnung sein.
Die Krux an der Sache ist, dass wir oft auf die Bestätigung von außen hoffen. Denn wenn wir im Inneren so harsche Kritik an uns üben, dann wünschen wir uns jemanden, der uns das abnimmt und versichert, dass wir OK sind.
Da das in den meisten Situationen nicht passiert, fühlen wir uns noch abgelehnter von der Welt. Das wiederum setzt die innere Kritikspirale weiter fort.
Lerne auf dich selbst zu bauen
Diesem fatalen Denk- und Gefühlskreislauf zu entkommen, braucht Bewusstheit. Das geht in diesen Situationen anfangs mit sehr wenig Erfolg. Daher brauchen wir Zeit, um uns das im Nachhinein nochmal genauer anzuschauen. Auch wenn es weh tun mag, es lohnt sich immer solche Momente einer Prüfung zu unterziehen.
Erster wichtiger Aspekt:
Wer auf positive Bestätigung von außen wartet, macht sich abhängig.
Zweiter wichtiger Aspekt:
Wenn wir selbst nicht lernen gut mit uns zu sein und Selbstmitgefühl zu haben, werden wir aus diesem Kreislauf nicht herauskommen.
Was dir helfen kann
Ein Ansatzpunkt ist daher die Frage: Was kannst DU in diesen Momenten für dich selbst tun, damit du dir diese Bedürfnisse ein Stück mehr erfüllen kannst?
- Was hilft dir dich jetzt sicherer zu fühlen?
- Wie kannst du mit dir reden?
- Was kannst und darfst du tun, dich solchen Situationen zu entziehen?
- Auf welches Gefühl kannst du dich im Inneren lernen zu stützen?
Wer von innerer Kritik überflutet wird, kann damit beginnen, sich innerlich zuzugestehen, dass das alles gerade echt schwierig ist. Dass es hart ist.
Anzunehmen, dass wir gerade stolpern und uns zugestehen, dass es schwer ist. Dieses Annehmen von uns selbst führt dazu, dass wir immer mehr aufhören können, auf die Bestätigung von außen zu warten.
Wir haben das Bedürfnis angenommen zu sein. Doch gleichzeitig haben wir nicht in der Hand wie andere reagieren.
Was wir jedoch in der Hand haben ist Annahme, die wir uns selbst angedeihen lassen können.
Wir sind OK. Das sind wir. Wir sind in Ordnung. Wir sind Menschen die Mitgefühl verdienen. Wir dürfen uns selbst zugestehen, dass wir das Bedürfnis nach Sicherheit und Angenommensein haben.
Eine Prägung die du als Kind erfahren hast und die sich in einer reflexartigen, harschen, inneren Kritik auswirkt, ist Nichts, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen musst.
Du kannst und du darfst Schritte unternehmen, die dir dabei helfen, anders denken zu lernen. Trigger sind schwer totzukriegen und der erste Impuls wird möglicherweise nie ganz verschwinden, doch was du ändern kannst, ist alles was danach kommt.
Mach es dir bewusst
Bewusstheit ist der erste Schritt. Werde dir immer mehr bewusst in welchen Situationen du die innere Kritik wahrnimmst. Was genau ist davor passiert? Welche Situationen ähneln sich? Welche Personen und Beziehungen kommen dabei immer wieder ins Spiel? Häufig wirst du Verbindungen feststellen und damit kannst du arbeiten.
Sich dazu Hilfe zu holen, auch therapeutischer Art, kann die beste Idee überhaupt sein. Mit Hilfe von professioneller Unterstützung lassen sich hartnäckige Muster viel eher und nachhaltiger auflösen.
Doch du selbst kannst ebenfalls viel tun. Auch wenn du gegen die erste Triggerreaktion oft nicht wirklich was machen kannst, kannst du die einsetzende innere Kritik als Signal lernen zu erkennen, dass es jetzt die Frage ist, was du tun kannst, um dich zu schützen.
Was für ein Bedürfnis möchte hier erfüllt werden?
Du kannst dir mit der Zeit antrainieren, dass schon der zweite Gedanke, nach einem vernichtenden innerlichen Kritiksatz, ein wohlwollender und unterstützender ist.
Die gute Nachricht ist, dass du durch das bewusste Ändern deiner Reaktionen neue Bahnen im Gehirn anlegst. Jedes Mal wenn du das machst, geht es ein wenig besser und schneller. Vielleicht nicht so schnell wie gewünscht, doch die Richtung stimmt auf jeden Fall.
Ich höre an dieser Stelle immer wieder mal, dass wir doch aber Kritik brauchen um besser zu werden. Doch der Gedanke, dass wir uns ohne Kritik zu Weicheiern machen, ist totaler Quatsch.
Niemandem tut es gut, wenn er beschimpft wird, wieso sollte uns das dann gut tun, wenn wir das in unserem Inneren machen?
Es gibt einen Unterschied, zwischen konstruktivem und liebevollen “Zusammenstauchen” und harscher Kritik, die verletzt und Ängste schürt.
Letztlich kannst du immer davon ausgehen, dass du dich so kritisieren solltest, wie du das auch mit einem Menschen machen würdest, den du magst. Den würdest du auch nicht einen Kopf kürzer machen, sondern klar und liebevoll sagen, was Sache ist.
Nimm das Negative was in dir passiert als Auslöser für unterstützende Gedanken. Auch wenn du dir das vielleicht nicht vorstellen kannst, das funktioniert. Es braucht Zeit und Übung. Es braucht Wahrnehmung und Bewusstheit. Es braucht Dranbleiben und Durchhalten.
Du bist deinem inneren Kritiker nicht hilflos ausgeliefert. Du kannst etwas unternehmen, so dass sich dein Gefühl im Inneren zu ändern beginnt. Sieh immer das Bedürfnis hinter der Kritik und reagiere darauf. Dann bist du auf dem richtigen Weg.
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