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Wenn wir uns darüber klar werden, dass uns tatsächlich etwas zusteht auch wenn wir nichts dafür leisten, dann ist eine interessante Folge, ob wir das auch einfordern.
Ob wir uns trauen, es einzufordern. Ob wir uns trauen Grenzen zu setzen, wenn Menschen über unsere Bedürfnisse und das was uns zusteht, immer wieder hinweg gehen.
Nein sagen – können wir das?
Das ist unser heutiges Thema, wie lernen wir nein zu sagen. Manche Menschen haben damit überhaupt kein Problem. Sie überlegen, ob das was an sie herangetragen wird jetzt für sie in Frage kommt und wenn nicht, dann sagen sie nein. Freundlich und bestimmt.
Das ist die Kunst. Freundlich und bestimmt.
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Freundlich, weil es uns zusteht, nein zu sagen und wir keineswegs alles annehmen und hinnehmen müssen, mit was die Welt auf uns zukommt. Wir dürfen nein sagen. Wir müssen deswegen nicht grantig werden, sondern dürfen es einfach tun.
Das bestimmt ist ebenfalls wichtig. Denn ein Gegenüber, dass eine gute Menschenkenntnis hat, riecht förmlich, wenn wir unsicher sind und das ‘Nein’ eher wie eine Frage aus unserem Mund kommt. Dann haben wir schon verloren, denn wenn jetzt die Rhetorikkeule ausgepackt wird und wir nicht dieses Bestimmt-Sein intus haben, dann fallen wir oft um und geben doch wieder nach.
Freundlich und bestimmt. Das ist unser Ziel. Jetzt ist die große Frage, wie kommen wir dorthin? Und ebenfalls interessant: Was hält uns davon ab, es einfach zu tun?
Was brauchen wir in unserem Inneren?
Fangen wir mit letzterem Aspekt an. Es überschneidet sich viel bei unserem Denken in diesem Punkt mit einem der letzten Themen. Was uns zusteht auch ohne Leistung.
Denn wir müssen in allererster Linie eine gesunde Selbstachtung haben. Ohne diesen sicheren inneren Grund – erinnere dich an den Baum – ist es ein leichtes uns umzupusten und schon fallen wir.
Dieses innere sichere Verwurzeltsein, ist das Denken über uns selbst. Dass wir uns einen Wert zugestehen und damit genauso viel Wert haben wie andere Menschen.
Wir sind gleichwertig. Wenn wir so über uns denken, dann können wir uns vorstellen, dass wir nein sagen ohne dabei unterzugehen.
Vor was fürchten wir uns?
Der Grund wieso es vielen Menschen so schwer fällt ist weniger das Aussprechen des Neins, sondern die mögliche Reaktion darauf.
Jemand könnte uns beleidigt sein oder barsch werden oder sich abwenden oder uns verlassen. Das letztere ist zu weit her geholt? Hm, wohl nicht immer.
Denn wenn wir uns daran erinnern, wann unsere Hauptprägungen stattgefunden haben, dann konnte es im Kindesalter ein ganz verheerendes Gefühl sein, wenn wir uns im nein geübt haben und unsere Bezugspersonen haben sich dann vollkommen von uns abgewendet.
Das ist eine Erziehungsmethode, die immer noch zu oft eingesetzt wird. Wenn du das nicht tust, was ich sage, dann hab ich dich nicht mehr lieb und das zeig ich dir dadurch, indem ich mich von dir abwende.
Wenn wir als Erwachsene diese Situation erleben, ist das schon etwas was an uns zerrt. Wenn ein geliebter Mensch sich auf ein Nein von unserer Seite abrupt abwendet, nicht mehr mit uns spricht und uns sozusagen seine ganze Liebe entzieht, dann lässt das nur wenige Menschen kalt.
Wir sind Verbindungswesen. Wir brauchen das Gefühl in guter Verbindung mit anderen zu stehen. Das macht uns gleichzeitig so manipulierbar.
Gut, kehren wir zu unserem Gedanken zurück. Wenn es uns so schwer fällt ein Nein auszusprechen, weil wir Angst vor der Reaktion des Gegenüber haben, dann lohnt ein Blick auf das, was wir da eigentlich fürchten.
Was könnte Schlimmes passieren? Welche furchtbaren Konsequenzen könnte es geben? Wenn wir das nicht nur im Kopf durchspielen, sondern aufschreiben, haben wir das perfekte Material vor Augen, mit dem wir weiterarbeiten können.
Sollte uns unser Chef fragen, ob wir diesen Bericht noch heute fertig stellen können und es schon kurz vor Feierabend ist und wir eine Verabredung haben, wie reagieren wir?
Wenn wir sehr viel Angst davor haben, wie die Reaktion ausfällt, ist die Chance groß, dass wir unsere Verabredung absagen und die Arbeit fertig machen.
Manche Menschen befürchten, dass sie damit auf der Abschussliste stehen für eine Kündigung, dass sie bei der nächsten Beförderung deswegen übergangen werden, dass sie beim Beurteilungsgespräch schlecht abschneiden werden, dass sie bei Kollegen angeschwärzt werden usw.
Unserer Phantasie sind ja keine Grenzen gesetzt und solche Katastrophenszenarien auszumalen ist ein leichtes für unser Hirn.
Welche Konsequenzen gibt es wirklich?
Gut, wenn wir das nun schwarz auf weiß aufgeschrieben vor uns haben, ist die nächste Frage ein Realitäts-Check. Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Szenarien eintreffen?
Das wird wohl unterschiedlich ausfallen, doch ich traue mich wetten, dass die Wahrscheinlichkeiten bei Licht betrachtet nie sehr hoch sind.
Wieso sollte uns jemand gleich ausstellen, wenn wir einmal nein sagen? Wieso sollten wir deswegen bei der nächsten Beförderung übergangen werden? Das macht in den wenigsten Fällen Sinn.
Die Brille macht das Bild
Das Problem an der Sache ist, dass wir eine falsche Brille aufhaben. Wenn für uns das ‘nein sagen’, eine emotional schwierige Sache ist, dann werden diese Situationen plötzlich riesengroß.
So als ob wir sie unter dem Vergrößerungsglas betrachten, blasen wir sie auf und geben ihnen damit eine Bedeutung die sie überhaupt nicht haben.
Dieses verzerrte Bild ist häufig das Ergebnis von dieser irrationalen Angst die wir innerlich haben, wenn wir uns in dieser Situation erleben.
Wir sagen nein und dann werden wir verlassen.
Dieses Verlassenheitsgefühl, das wir als Kind erlebt haben in diesen Situationen, ist zu der damaligen Zeit ein ganz elementares Gefühl gewesen.
Es war körperlich spürbar und wir waren der Situation mehr oder weniger hilflos ausgeliefert, da wir als Kind noch sehr wenig Handhabe haben, um uns selbst zu beruhigen und Situationen verstandesgemäß einzuschätzen. Das kommt erst später.
Doch das Gefühl haben wir abgespeichert. Und so kommt es zu diesen irrationalen Reaktionen, wenn wir wieder in ähnlichen Situationen landen.
Zwar diesmal erwachsen und mit einem Verstand ausgestattet, doch das kann uns in manchen Fällen erstmal nichts nützen, wenn das emotionale Programm schon gestartet ist, durch die andere Person.
Wichtig ist nun wieder, dass wir es als das erkennen, was es ist. Eine Projektion, ein Vergrößerungsglas. Wir geben dem ganzen eine zu große Bedeutung die die Situation gar nicht verdient hat.
Unseren Verstand im Nachhinein zu benutzen um die Situation zu analysieren, kann uns immer helfen mehr Bewusstheit hineinzubringen. Die Klarheit über die tatsächliche Wahrscheinlichkeit kann viel entschärfen und damit immer mehr für die kommenden Situationen vorbeugen.
Was können wir tun?
Wenn wir uns als nächstes die Frage stellen, was wir gebraucht hätten um in dieser Situation schneller wieder auf einen sicheren inneren Grund zu gelangen, dann sind wir in Richtung Lösung unterwegs.
Auch wenn wir wahrscheinlich bei niemandem Begeisterungsstürme auslösen werden, wenn wir nein sagen, ist es doch kein Beinbruch. Niemand kann dazu verpflichtet werden, zu jeder Zeit zu allem ja und Amen zu sagen.
Wer das mit sich auf Dauer machen lässt, wird krank werden. Denn das hält niemand aus. Wir brauchen einen gesunden Regelungstrieb, eine Kraft in uns, die uns schützt vor dem Ausbrennen. Und ständiges ja sagen führt über kurz oder lang zu ausgebrannt sein.
Wir brauchen also in diesen Situationen wiedermal die Fähigkeit der Selbstberuhigung.
Denn wir sind oft in Aufruhr. Oder – wenn du mit dem Bild etwas anfangen kannst – dein inneres Kind ist in Aufruhr. Der Anteil in dir, der diese Erinnerungen gespeichert hat an Erlebnisse, in denen ein Nein ganz schlimme Folgen hatte.
Als Kind wird alles als schlimm empfunden, was den Kontakt und die Verbindung unterbricht zu den wichtigen Bezugspersonen.
Es ist ein Teil des gesunden Abnabelungsprozesses, dass wir uns als Kind immer wieder vergewissern, ob diese so wichtigen Menschen für uns noch verfügbar sind.
Wird uns diese Verfügbarkeit entzogen, dann ist uns das eine Lehre und wir achten sehr genau darauf, was von unseren Handlungen dazu führt und wir werden sie zukünftig unterlassen.
Doch fast forward nach heute: Wir sind jetzt erwachsen. Wir sind selbst für unsere Bindungen verantwortlich und wir “sterben” nicht mehr, wenn uns jemand die kalte Schulter zeigt, weil wir gerade nein gesagt haben.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Dinge wieder beruhigen. Und dass es ganz normal ist, wenn sich im ersten Effekt jemand abwendet. Das machen wir auch. Die Frage ist nur, ob sich das wieder normalisiert.
Sollte jemand dich dauerhaft links liegen lassen, weil du nein gesagt hast, dann ist das generell ein Zeichen dafür, dass das keine gesunde Bindung ist.
Was ist eine gesunde Bindung?
Gesunde Bindungen halten es aus, wenn man mal nicht so nah ist. Oder sich auch abgewandt hat vom anderen. Das gehört dazu und kann sich wieder ändern.
Wir verhalten uns auch so. Das ist ein vollkommen normaler Zustand oder vielleicht besser ein normaler Verlauf. Wir entfernen uns voneinander und gehen wieder aufeinander zu.
Darauf muss unser Vertrauen basieren. Keine Beziehung hält ständiges aneinander hängen aus und auch kein ständiges ja-sagen. Das hält niemand aus.
Daher ist es auch das Paradoxe, dass Menschen, die ständig Angst haben davor verlassen zu werden, mit ihrem Verhalten und der Tendenz sehr häufig ja zu allem zu sagen, dazu beitragen, dass sie verlassen werden.
Nur wer sich selbst respektiert, wird Respekt erfahren
Wer sich immer für andere krumlegt, um das mal so auszudrücken, der verliert an Respekt. Denn dieses Verhalten ist ein Zeichen davon, dass sich jemand selbst nicht respektiert und das nehmen andere wahr.
Ist doch interessant oder? Wir erreichen also unser Ziel in Verbindung zu bleiben am ehesten, wenn wir uns selbst respektieren, unsere Grenzen wahrnehmen und kommunizieren.
Wir verlieren auf Dauer Verbindungen, wenn wir uns nicht selbst respektieren, da damit auch der Respekt anderer verloren geht und die gesunde Qualität der Verbindung.
Willst du also gute Kontakte und Verbindungen haben, dann übe dich im nein sagen. Lerne wahrzunehmen, wann deine Grenzen überschritten werden oder auch wann deine Bedürfnisse für dich wichtiger sind, als das Anliegen von jemand anderem und sag nein.
Wenn du in diesem guten Kontakt mit dir stehst, dann ist das eingangs erwähnte freundlich und bestimmt sein nicht das Problem.
Denn du musst dich dann weder verteidigen, noch musst du vorbauen oder erst eine grantige Stimmung ansammeln, damit du den Mut zum Nein hast. Du kannst aus einem guten Kontakt mit dir selbst früh genug abschätzen, wann es Zeit ist für das nein.
Das herausgeplatzte, vollkommen ärgerliche Nein ist oft das Ergebnis eines zu langen Wartens. Wir zögern es hinaus, uns in diese unangenehme Situation zu begeben, nein sagen zu müssen und damit steigt unser Ärger.
Unser Ärger ist interessanterweise manchmal damit verwoben, dass wir annehmen, der andere müsse doch sehen, dass das jetzt einfach nicht geht oder zuviel ist, was von uns verlangt wird.
In gewisser Weise verlangen wir damit manchmal ein Gedankenlesen. Doch das funktioniert nicht. Wir müssen klar kommunizieren, so wird ein Schuh draus.
Wir müssen uns klarmachen, dass wir keineswegs einen falschen Tonfall wählen müssen, sondern klar und deutlich sagen dürfen, was jetzt eben nicht geht.
Nein ist ein ganzer Satz
Außerdem ist noch ein weiterer Punkt, dass ein Nein ein kompletter Satz ist. Wir müssen nicht immer begründen, was wir da nicht wollen. Es genügt tatsächlich zu sagen: Nein, das möchte ich jetzt nicht. Oder Nein, das kann ich jetzt nicht übernehmen. Oder Nein, das ist nicht meine Aufgabe.
Hört sich hart an? Wirklich? Doch nur, weil wir annehmen, wenn wir schon fragen, dann muss doch ein Ja kommen. Wir gehen selbst meistens davon aus, dass jemand zustimmt. Eine Ablehnung jedoch zu gleichem Maß miteinzukalkulieren, macht beide Optionen gleichwertig.
Denn sie sind auch gleichwertig. Auf eine Frage gibt es zumeist ein Ja und ein nein. Beide sind jeweils eine Option. Und wenn wir das Recht haben davon eine zu wählen, dann hat das jeder andere Mensch auch. Sonst wäre es keine Frage, sondern eine Ansage. Doch so lange es eine Frage ist, darf auch die Antwort unterschiedlich ausfallen.
Viele Menschen fühlen sich wohler, wenn sie ihr Nein begründen. Mag es auch noch so fadenscheinig sein. Doch letztlich ist ein Nein ein ganzer Satz.
‘Schreiben Sie heute das Protokoll? Nein.’ Wenn ich es auf jeden Fall schreiben soll, dann sollte es als Aussage formuliert sein, mit dem ein Auftrag verbunden ist. Doch so lange es eine Frage ist, gibt es darauf mehrere Möglichkeiten und eine davon ist ein Nein.
Steh zu dir und respektiere dich
Denke an den Selbstrespekt. Wenn du dich gut im Blick hast, dann kannst du auch gut abschätzen, wann ein Nein und wann ein Ja angebracht ist.
Lerne dich selbst zu beruhigen, wenn du Ängste spürst in diesen Situationen, denn du kannst gute und gesunde Verbindungen mit Menschen pflegen und diese Verbindungen halten auch ein Nein von dir aus.
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