Wir reden schon eine Weile von innerer Ordnung. Das Wort mag in dem Zusammenhang vielleicht nicht so schnell Sinn machen wie äußere Ordnung. Doch wir haben in verschiedenen Texten schon festgestellt, dass unser Inneres in Unordnung und Chaos versinken kann. Dass es hilft Ordnung ins Innere hineinzubringen.
Etwas das wir noch nicht so beachtet und berücksichtigt haben, wie wir hätten sollen, sind dabei die reflexartigen Reaktionen die wir uns selbst gegenüber an den Tag legen.
Wie sprichst du mit dir?
Wie reagieren wir, wenn uns etwas misslingt, wir scheitern, etwas falsch machen? In vielen Fällen ist die erste innere Reaktion eine Tirade an negativen Gedanken. Wir schimpfen uns, beleidigen uns, geben uns Namen und reden insgesamt sehr harsch mit uns selbst.
Was hat das mit Ordnung zu tun? Nun, schauen wir doch mal was unsere Sprache dazu wieder auf Lager hat. Es gibt den Spruch:
“jemanden zur Ordnung rufen.”
Was soviel bedeutet, dass jemand aufgefordert wird, sich an die Regeln zu halten. (z.B. wenn der Richter die Zuschauer zur Ordnung ruft, weil sie zu laute Zwischenrufe geäußert haben)
D.h. wenn jemand zur Ordnung gerufen wird, dann legt er ein Verhalten an den Tag, das nicht angemessen ist und wird aufgefordert das zu unterlassen.
Der Ton macht bekanntlich die Musik. Daher ist es auch die Frage, wie jemand das macht, wenn er zur Ordnung aufruft. Doch wenn wir an den Richter aus dem obigen Beispiel denken, dann kann das durchaus angemessen sein, wenn er laut wird, weil er sich erst Gehör verschaffen muss und dann klare Anweisungen erteilt.
Wie sprichst du mit anderen?
Jetzt wollen wir das übertragen auf unsere innere Ordnung. Zunächst mal die Frage: Wenn deiner besten Freundin ein Fehler unterläuft und sie sich dafür selbst runter macht und kein gutes Haar an sich lässt, wie reagierst du? Wirst du ihr zustimmen, was für eine blöde Kuh sie doch ist? Das kann ich mir kaum vorstellen.
Im Gegenteil, wahrscheinlich wirst du dein Bestes tun, um sie zu beruhigen und ihr klarmachen, dass das auch anderen hätte passieren können. Dass es menschlich ist, wenn man einen Fehler macht, dass davon die Welt nicht untergeht und dass sie deswegen kein schlechter Mensch ist.
Unser Ziel bei der ganzen Aktion ist es, sie wieder auf einen Level zu bringen, in dem sie klar über das Geschehene nachdenken kann und sich überlegen kann, was in dieser Situation am besten zu tun ist. Dadurch, dass sie wieder ins Handeln kommt, kann sich etwas verändern und das zum positiven.
Das Schimpfen dagegen hält einen fest in der Nicht-Aktion. Wir sind wie gelähmt und unfähig etwas Sinnvolles zu tun. Das macht wenig Sinn, oder?
Wieso bleiben wir so oft in diesem negativen Selbstgespräch hängen?
Was ist das nun genau, das einen darin festhält? Was bringt einen in diese Überforderung, in der wir nicht in der Lage sind auch nur einen Finger zu rühren, geschweige denn in die Gänge zu kommen und klare Lösungen zu entwickeln?
Tja, wir sind wieder mal bei unserem Freund dem Wetter angelangt. Dem Emotionswetter, um das zu präzisieren. Wieder einmal halten uns Emotionen gefangen. In diesem Fall, wenn wir gegen uns selbst wettern.
Wenn du aufgepasst hast, dann ist dir vielleicht sogar die Wahl meines Verbes aus dem letzten Satz bewusst aufgefallen.
“wettern”
Ist das nicht lustig? Wir verwenden diesen Begriff sogar, um eine bestimmte Art von emotionalem Ausdruck zu beschreiben. Wenn wir ungehalten und grantig sind und das auf jemand anders niedergehen lassen.
Unser Sprache ist schon enorm. Wir müssten eigentlich oft nur viel genauer hinhören, was wir gerade sagen.
Lässt sich das Emotions-Wetter ändern?
Gut, wir wissen inzwischen, dass es wenig Sinn macht, das Wetter ändern zu wollen. Es kommt und geht. Es ändert sich wie die Atmosphäre sich grad entwickelt. Doch was wir tun können, ist die Art zu ändern, mit der wir dem Wetter begegnen.
Wenn du einen Fehler gemacht hast, mit dir unzufrieden bist, etwas nicht so läuft wie du es gern hättest und du merkst, dass diese Wetter-Tirade im Inneren beginnt anzulaufen, dann setz doch mal einen anderen Impuls dagegen.
Genauso wie du einer Freundin begegnen würdest, der gerade ein Fehler unterlaufen ist. Wir wollen ihr helfen, dass sie wieder in einen normaleren Zustand kommt. Wenn man so will, rufen wir sie zur Ordnung und erinnern sie daran, was das normale Umgehen mit sich selbst in dieser Situation ist.
Uns selbst zur Ordnung rufen
Ganz genauso können wir das mit uns selbst machen. Dieses innerliche zur Ordnung rufen ist erst mal nur ein Wahrnehmen, dass wir überreagieren, uns in etwas verrennen, dem Emotions-Wetter zu viel Bedeutung geben und uns in den Sturm hineinfallen haben lassen.
Wir können oft gar nicht so schnell schauen, wie dieses innere Schimpfkommando loslegt. Als ob jemand einen Knopf gedrückt hat und plötzlich ein Fernsehsender losdudelt.
Das zur Ordnung rufen, ist ein Feststellen dessen, dass wir den falschen Kanal am Laufen haben und ihn wieder ausschalten können.
Selbstmitgefühl ist das Mittel der Wahl
Eine sanfte Methode sich zur Ordnung zu rufen, ist Selbstmitgefühl mit sich zu haben. Selbstmitgefühl ist das gleiche Gefühl, das wir mit jemand anderem haben, der sich in einer Situation befindet, die in irgendeiner Form schmerzlich ist.
Denn das ist die Grundemotion: Schmerz. Wir fühlen uns blamiert, schämen uns, sind verunsichert, es ist uns peinlich usw. Nur aus diesem Grund gehen wir so mit uns um und schimpfen mit uns selbst.
Genau diesen Schmerz adressieren wir bei anderen, wenn wir Mitgefühl haben und ausdrücken. Wir fühlen den Schmerz und stehen jemandem bei, damit er sich damit nicht alleine fühlt und alles wieder in eine andere Perspektive gerückt wird.
Mitgefühl ist eine natürliche Reaktion
Ein weiterer wichtiger Punkt: wir stellen nicht in Frage, ob jemand unser Mitgefühl verdient hat. Es ist ebenso ein reflexartiges Gefühl, das sofort da ist, wenn wir andere in schwierigen Situationen erleben.
Wir versetzen uns automatisch in deren Lage und fühlen den Schmerz. Das ist das Mitgefühl, dass wir dann in uns selbst wahrnehmen. (Wer darüber wissen will, worauf das beruht, kann hier mehr zu Spiegelneuronen im Gehirn nachlesen.)
Wir gestehen dem anderen damit automatisch zu, dass es in Ordnung ist, diesen Schmerz zu fühlen, und dass er damit nicht allein ist.
Dass es in Ordnung ist, den Schmerz zu haben.
Kein Gefühl ist richtig oder falsch. Es ist zunächst erst einmal nur da. Genau wie das Wetter. Es ist einfach nur erst einmal da.
Wir sind in Ordnung
Doch wenn wir mit uns selbst ins Gericht gehen und uns innerlich Sachen an den Kopf werfen, mit uns reden, wie wir nie mit unserer besten Freundin reden würden, dann scheint es so zu sein, als wir damit klar stellen, dass es nicht in Ordnung ist.
Dass es nicht in Ordnung ist, den darunter liegenden Schmerz fühlen zu dürfen. Wir schneiden uns durch unsere Tiraden davon ab. Vielleicht auch, weil wir den Schmerz nicht wirklich fühlen wollen.
Wirklich wahrnehmen wie peinlich uns etwas ist, den Schmerz wahrhaft fühlen, das ist nicht gerade unsere Lieblingsbeschäftigung.
Doch wenn du jemand anderem Mitgefühl entgegenbringst, kannst du oft die Erleichterung spüren, die im anderen abläuft, wenn er merkt, dass es da jemanden gibt, der den Schmerz sieht und ihn deswegen nicht wegstößt. Diese Erleichterung kannst du dir auch selbst zukommen lassen, wenn du Mitgefühl mit dir hast.
Wovor haben wir wirklich Angst?
Schlussendlich haben wir alle die Angst und den Schmerz, dass wir nicht mehr anerkannt werden, nicht mehr dazugehören, ausgeschlossen werden und im letzten Ende nicht mehr geliebt werden, wenn wir einen Fehler begehen.
Deswegen passiert es auch, dass wir so harsch uns selbst gegenüber werden. Wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass wir allein dastehen.
Doch die Verbindung durch das Mitgefühl zeigt, dass es eine Verbindung gibt. Wir selbst schneiden die Verbindung zu uns ab, wenn wir nicht in der Lage sind mit uns selbst Mitgefühl zu haben.
Doch wir sind immer noch menschlich. Und weil wir ein Mensch sind und keine Maschine, verdienen wir Mitgefühl. Das ist uns mitgegeben. Wir dürfen Selbstmitgefühl haben.
Wir dürfen Selbstmitgefühl haben
Wir dürfen uns sagen: “Ohje, dass ist wirklich schlimm, dass das passiert ist.”
Ich fühle meinen eigenen Schmerz und nehme mich trotzdem an. Wie ich das bei einem Kind tun würde, darf ich mich trösten.
Ich darf mir selbst sagen: das ist nicht so schlimm…das hätte auch jemand anderem passieren können…du bist deswegen genauso in Ordnung und liebenswert.
Du kommst dir komisch bei dem Gedanken vor? Du denkst das “Oh Mann, immer baust du Sch…” oder “Wie blöd kann man eigentlich sein?” ist natürlicher? Oder anders ausgedrückt, das ist es, was dir zusteht? Denkst du wirklich, dass sich selbst abwerten (und nichts anderes ist das) der richtige Impuls ist?
Glaubst du, dass wenn man einen Menschen zur Schnecke macht und kein gutes Haar am ihm lässt, dass er dadurch zu einem besseren Menschen wird? Vor allem, wenn man ihm solche Sachen wie “immer machst du…” oder “nie kriegst du hin…” an den Kopf wirft, das ihn das wachsen und aus seinen Fehlern lernen lässt?
Interessante Frage, oder? Wir landen damit beim Erziehungsstil, den wir selbst erfahren haben. Und auch bei der Art und Weise, wie wir Schule und LehrerInnen erlebt haben.
Wie hast du das als Kind erlebt?
Wie waren unsere Erfahrungen als Kind, wenn wir Fehler gemacht haben?
Denk mal zurück, wie es dir in solchen Situationen ergangen ist. Was ist da geschehen? Hat dich ein Lehrer bloßgestellt, weil du an der Tafel etwas Falsches geschrieben hast? Oder haben dich Mitschüler ausgelacht, wenn du beim Ausfragen versagt hast?
All diese Erlebnisse sind es, die unseren Umgang mit uns selbst und mit der Welt prägen.
Wir gehen interessanterweise davon aus und stellen es auch überhaupt nicht in Frage, dass das der Umgang der Wahl ist. Auch wenn wir es vielleicht nicht gut finden, ist es der Reflex, den wir uns selbst gegenüber an den Tag legen.
Wenn du standardmäßig erlebt hast, dass du für Fehler zur Schnecke gemacht worden bist, ob daheim, in der Schule oder auch von Freunden, dann wirst du das als Standard-Art auch auf dich selbst anwenden.
Möchtest du das ändern?
Dann ist immer der erste Schritt, dass du dir das Bewusstsein dafür schaffst, was da für ein Reflex abläuft. Diesen Moment des Innehaltens zu haben, kann den Unterschied bedeutet, was danach kommt.
Entscheide dich neu
Wenn es dir auffällt und bewusst wird, dass du schon wieder in deiner gewohnten schimpfenden Art dir selbst gegenüber gefangen bist, dann kannst du umschalten. Umschalten auf Selbstmitgefühl. Tröste dich selbst, erkenne an, dass es schmerzlich ist. Damit nimmst du die so dringend notwendige Verbindung mit dir auf.
Du lässt dich damit nicht im Stich, sondern bleibst mit dir in Kontakt. Aus dieser Annahme heraus, kannst du die Situation viel klarer einschätzen und dir Gedanken über eine Vorgehensweise machen, die dir hilft damit umzugehen.
Solang du in deinem negativen Selftalk stecken bleibst, ist keine Handlung möglich. Das schließt sich gewissermaßen aus. Die Kunst besteht darin, die Wahrnehmung zu schärfen, wann das innerliche Schimpfen losgeht und dann bewusst auf Selbstmitgefühl umzuschalten.
Du musst dir dabei auch nicht doof vorkommen, wenn du auf eine Weise mit dir sprichst, wie wenn du jemanden anderen trösten würdest. Wenn etwas schmerzt, dann darf man trösten.
Dieses Beruhigen ist der Schritt den du brauchst, damit du in ein Fahrwasser kommst, das dir einen klaren Kopf ermöglicht. Du kannst nicht wirklich denken, wenn du überschwemmt bist von negativen Emotionen und Gedanken. Also lass es abfließen durch das Selbstmitgefühl und komm dadurch ins Handeln. Das ist das einzige Ziel.
Übe Selbstmitgefühl mit dir selbst zu haben
Du kannst das schaffen. All das lässt sich einüben. Nimm wahr, ganz bewusst wahr, wie du zum einen ganz automatisch Mitgefühl mit jemand anderem hast, der sich in einer schwierigen Situation befindet und nimm wahr, wie du mit dir selbst in einer ähnlichen Situation umgehst.
In dem dir diese Diskrepanz und der oft vorhandene große Unterschied bewusst wird, kannst du anfangen das zu ändern.
Du darfst Selbstmitgefühl mit dir haben. Gib dir diese Erlaubnis und sei achtsam mit dir.
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